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Erleidet eine Kapitalanlage Schiffbruch, klagen anwaltlich beratene Anleger reflexhaft gegen den Anlagevermittler oder Anlageberater („Vermittler“). Denn seine vorvertraglichen Aufklärungspflichtverletzungen führen zum Ersatzanspruch in Höhe des Zeichnungsschadens. Und wo früher noch über Rückvergütungen und Nachhaftung gestritten wurde, hat sich heute ein anderer Dauerbrenner in Haftungsprozessen etabliert: Die Pflicht des Vermittlers zur Überprüfung der Plausibilität der angepriesenen Anlage. Unter dieser mäßig konturierten Pflicht wird einiges problematisiert und teilweise vermischt: Schlüssigkeit, Beweislast, Pflichtenkanon, Prüfungsmaßstab, Zumutbarkeit, Kausalität, Verschulden. Insgesamt liegt vor Gericht der Fokus hauptsächlich auf den Fragen, was alles unter die Prüfungspflicht fällt und ob dies je verletzt wurde. Sogar die Überprüfung schwieriger Rechtsfragen (durch IHK-geprüfte Finanzanlagenvermittler, vor 2013 sogar durch ungeprüfte) wird von einigen Anwälten und Gerichten in die Plausibilitätsprüfung hineingelesen. Demgegenüber fristete eine bestimmte Fragestellung ein Schattendasein, nämlich wie es um die Feststellung der tatsächlichen Plausibilität der Anlage bestellt ist. Dies ist umso erstaunlicher, als die tatsächliche Plausibilität den Angelpunkt für den Schutzzweck der Überprüfungspflicht darstellt. Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs geht dem mit seinem Urteil vom 30.03.2017 (Az.: III ZR 139/15) nach.

Grundsätzliches zur Plausibilitätsprüfungspflicht

Dass Vermittler unter anderem die Plausibilität der angepriesenen Anlage zu überprüfen haben, ist bekannt. Sie müssen die wirtschaftliche Tragfähigkeit des Anlagekonzepts und die Schlüssigkeit des Gesamtbildes des Prospekts in den Blick nehmen einschließlich etwaiger Modellberechnungen. Das gilt auch für den Berater, dessen Pflichten weiter gehen als die des Vermittlers. Er hat die Anlage mit üblichem kritischem Sachverstand zu überprüfen, was beispielsweise auch das Beschaffen aktueller Informationen über das Anlageobjekt einschließt, das Studieren einschlägiger Wirtschaftspresse oder weiteres kritisches Nachforschen bei besonderen Anhaltspunkten. Der Bankberater muss sogar noch etwas mehr leisten, für ihn bzw. die Bank gilt der Maßstab des „banküblichen“ kritischen Sachverstands. Für alle gilt, dass sie nur insoweit eine Überprüfung der Plausibilität schulden, wie sie mit zumutbarem Aufwand dazu in der Lage sind. Sie können sich entlasten, soweit sie den Anlageinteressenten bei der Aufklärung auf unterlassene Pflichten oder mangelnde Kenntnisse hinweisen.

Zu kurz gegriffene Vorwürfe in Haftungsprozessen

Die Rechtsprechung stellt an den klagenden Anleger keine überspannten Anforderungen, was die Darlegung der Pflichtverletzung des Vermittlers betrifft. Es reichen Kernaussagen zu Versäumnissen. Will der Kläger zudem im Prozess eine negative Tatsache beweisen, was bei der Nichtaufklärung über Risiken den Regelfall darstellt, muss der beklagte Vermittler zunächst sekundär darlegen, wie er (fehlerfrei) aufgeklärt hat. Was heißt das für den Vorwurf der unterlassenen oder fehlerhaften Plausibilitätsprüfung?

Da ein Anlageberater oder Anlagevermittler immer nur dann auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden kann, wenn das vom Anleger investierte Kapital ganz oder teilweise verlustig ging, lautet der Standardvorwurf für gewöhnlich: Die Anlage war – wie sich ja nun zeige – wirtschaftlich unplausibel, weswegen der Vermittler hafte. Er habe seine Prüfungspflicht verletzt, weil ihm die mangelhafte wirtschaftliche Schlüssigkeit andernfalls aufgefallen wäre. Das Konzept habe von vornherein nicht aufgehen können, bereits die Kosten seien dafür zu hoch gewesen. Kurz: Wirtschaftlicher Schiffbruch = fehlerhafte Plausibilitätsprüfung = Haftung des Vermittlers (der, so hofft der Anleger, womöglich noch versichert ist).

Bereits logisch ist diese Argumentation brüchig; trotzdem stellt sie den Prozessalltag dar. Der Finanzdienstleister wird mittelbar zum Garant für den wirtschaftlichen Erfolg gemacht. Denn verläuft die Anlage gut, ist sie offenbar plausibel oder wird erst später unplausibel. Verläuft sie hingegen schlecht, soll der Finanzdienstleister den Schaden auf Grundlage der vermeintlich zutage getretenen Plausibilitätsdefizite ausgleichen. Allerdings hat er weder die Prospektierung zu verantworten, noch die Modellberechnungen, noch hat der das – falls vorhanden – IDW-Gutachten erstellt, sondern darf sich grundsätzlich darauf verlassen. Der Vermittler ist nicht Emittent, Anbieter, Prospektverantwortlicher oder Hintermann. Richtig ist daher, dass seine Pflicht zur Überprüfung der wirtschaftlichen Schlüssigkeit einer Kapitalanlage eben nicht unbeschränkt gilt, sondern nur soweit es ihm zugemutet werden kann.

Nur wie weit ist das konkret? Ab wann darf der Vermittler beispielsweise auch Fehler bei der Schlüssigkeitsprüfung machen, seiner Pflicht also nachkommen, aber trotzdem nicht haften, weil er nicht für alles verantwortlich und nicht speziell-juristisch und/oder gleich einem Wirtschaftsprüfer ausgebildet ist? Haftet er bereits per se, wenn er die Plausibilitätsprüfung unterlässt und er den Anlageinteressenten darüber nicht informiert? Falls ja, auch wenn die Anlage trotzdem plausibel ist? Und muss der Vermittler, weil er schon die Überprüfung schuldet, darlegen, dass eine Anlage plausibel ist, wenn der Kläger nur entspannt-schlüssig das Gegenteil behauptet?

BGH-Entscheidung zum Beweis der Plausibilitätsdefizite an sich Hier setzt das Urteil des BGH vom 30. März 2017 an (Az.: III ZR 139/15). Die Klägerin war der Ansicht, allein die Unterlassung der gebotenen Plausibilitätsprüfung und die fehlende Aufklärung hierüber reichen zur Begründung des Schadensersatzanspruchs aus. Sie trug zudem vor, es habe sich um eine höchst riskante und untaugliche Anlage gehandelt, deren Konzept besonders wegen der offensichtlich fragwürdigen Höhe der zu erwartenden Rendite nicht habe funktionieren können. Hierzu meinte das Berufungsgericht, es käme zunächst darauf an, ob der Vermittler zum Inhalt der ihm zur Verfügung stehenden Informationen näher vorgetragen hat, um beurteilen zu können, ob er daraus ein plausibles Konzept habe herleiten können und dürfen. Dies sah der BGH anders.

Der BGH entschied, dass die unterlassene Prüfung zwar unter Kausalitätsgesichtspunkten zum Schadensersatzanspruch führt, dadurch die Schutzzweckerwägungen der Prüfungspflicht jedoch nicht in Frage gestellt werden. Hätte eine hypothetische Prüfung keine Beanstandungen der Plausibilität ergeben, so hat der Anleger nichts anderes erhalten als ein den Plausibilitätsanforderungen entsprechendes Anlageobjekt. Deshalb kann er sich nicht darauf berufen, dass allein das Fehlen der notwendigen Überprüfung und eines Hinweises darauf maßgeblich und ausreichend sei, um gegen den Vermittler vorgehen zu können. Vielmehr sind vom Gericht Feststellungen zu aufklärungspflichtigen Plausibilitätsdefiziten zu treffen. Und hierfür trifft den klagenden Anleger die Darlegungs- und Beweispflicht, nicht den Vermittler. Dies gilt bei Vermittlung und Beratung gleichermaßen; Az.: III ZR 139/15, Gründe II. 1. b), c).

Fazit: Die Last trägt der Anleger

Ohne gerichtlich festgestellte Plausibilitätsdefizite kann der Anleger vom Vermittler keinen Schadensersatz wegen unterlassener oder fehlerhafter Plausibilitätsprüfung verlangen. Dies folgt aus dem Schutzzweck der Prüfpflicht. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Plausibilitätsdefizite kann der Kläger auch nicht auf den beklagten Vermittler oder Berater abwälzen. Die aktuelle Entscheidung des BGH betrifft viele standardisiert geführte Haftungsprozesse; mit ihr hängt die Hürde für den Anleger nun etwas höher. Beklagte Vermittler sind gut beraten, behauptete Plausibilitätsdefizite hinreichend zu bestreiten. Sie müssen zum Beweis des Gegenteils auch nicht in Vorleistung gehen.